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Apple und Xerox PARC

Der Besuch von Steve Jobs im Forschungszentrum Xeorx PARC und seine Folgen

Nicht nur im inzwischen beigelegten Patentstreit zwischen Apple und Samsung behaupteten Kritiker, Apple-Mitbegründer Steve Jobs habe es in der Vergangenheit mit dem Schutz des geistigen Eigentums nicht all zu ernst genommen und sich immer wieder großzügig bei anderen Firmen und Erfindern bedient. So habe Apple bei der Entwicklung des Macintosh Ideen kopiert, die zuvor im Forschungslabor Xerox PARC ausgebrütet worden waren. Legende oder Wahrheit?

(zuletzt aktualisiert: 8. März 2019)

Der Eingang zum Xerox PARC in den achtziger Jahrenq
Der Eingang zum Xerox PARC in den achtziger Jahren

Die Geschichte von Xerox PARC

Um diese Frage zu beantworten, lohnt ein kurzer Blick in die Geschichte von Xerox PARC. Das legendäre kalifornische Forschungslabor wurde im Sommer 1970 von Xerox gegründet. Xerox war damals bereits ein sehr etablierter Player im High-Tech-Geschäft. In den USA steht der Name “Xerox” für das Fotokopieren, so wie in unseren Breiten “Tempo” für ein Papiertaschentuch oder “Tesa” für einen Klebefilm. Schließlich hatte die Xerox Corp. bereits 1950 als erstes Unternehmen der Welt die von dem amerikanischen Physiker und Juristen Chester F. Carlson erfundene “Xerographie” in ein funktionierendes Produkt umgesetzt. Carlson erhielt bereits 1937 das Patent auf ein Verfahren, das er „Elektrophotographie“ nannte. Am 22. Oktober 1938 folgte die Premiere in der Praxis: Mit Hilfe einer mit Schwefel beschichtete Metallplatte und einer Lampe übertrug Chester den Schriftzug „10.-22.-38 Astoria“ auf ein Wachspapier.

Die erste Fotokopie
Die erste Fotokopie

Ende der 60er Jahre sah das Xerox-Management die Gefahr, dass japanische Firmen den technologischen Vorsprung von Xerox einholen könnten. Das hing auch damit zusammen, dass wichtige Patente von Xerox ausliefen. Außerdem befürchtete die Xerox-Spitze, dass mit den kommenden Computer-Generationen das “papierlose Büro” entstehen könne, in dem Xerox keinen Platz mehr hat. Vor diesem Hintergrund wurde das Xerox Palo Alto Research Center (PARC) in Kalifornien gegründet.

Eine der bekanntesten Forscher am PARC war Alan Kay. Er kam 1970 zu dem Xerox-Forschungsteam. „Was wird ihre wichtigste Errungenschaft hier sein?“, wurde er während des Einstellungsgesprächs gefragt. Seine Antwort: „Der Personal Computer.“ „Was ist das?“, lautete die Gegenfrage. Kay klappte sein Notizbuch auf und skizzierte seine Vision: „Ein Rechner dieser Größe, mit einem Bildschirm, einer Tastatur und genug Power, um ihre Post zu speichern und ihre Musik, Bilder und Bücher.“ Kay stieß mit diesem Zukunftsentwurf bei Xerox zwar auf Unverständnis, konnte aber dennoch im PARC an seiner Vision eines Dynabooks arbeiten.

Die Wissenschaftler und Ingenieure am PARC waren nicht durch Alltagszwänge eingeengt: John Warnock, ehemaliger Forscher bei Xerox PARC und später einer der beiden Gründer von Adobe Systems, erinnert sich in der TV-Doku „Triumph of the Nerds“: „Die Atmosphäre hier war wie elektrisiert, es herrschte totale intellektuelle Freiheit. Es gab keinen ‚gesunden Menschenverstand‘, fast jede Idee wurde als Herausforderung angesehen und wurde regelmäßig hinterfragt.“ Auch Larry Tessler, der später bei Apple den Macintosh und den Newton PDA mit entwickelte, genoss in den 70er Jahren die Freiheiten im PARC: „Das Management sagte: Geht los und erschafft die neue Welt, wir verstehen sie nicht. Hier waren Leute mit vielen Ideen und einem enormen Talent versammelt, jung und energiegeladen.“ Das Problem war nur, dass sich später die Unternehmensführung an der Ostküste der USA nur wenig für die Forschungsergebnisse aus dem PARC interessierte, wenn sie nicht im engeren Sinne mit Fotokopierern zu tun hatten.

Allerdings konnte man diese Wundermaschine nicht frei auf dem Markt kaufen. Es wurden schätzungsweise 1500 Stück davon produziert. 1000 setzte Xerox selbst intern ein, der Rest ging an Universitäten und Behörden.

In der Business-Development-Abteilung von Xerox, der Xerox Development Corporation (XDC), wurde immerhin der Erfolg des Apple II wahrgenommen. Die von Steve Wozniak konstruierte Maschine war preiswert und verkaufte sich in dem noch jungen Markt für Personal Computer hervorragend. Da Xerox selbst Produktionsprozesse hatte, die vergleichsweise teuer waren, interessierten sich Xerox-Manager aus dem Osten für Apple und knüpften die ersten Kontakte.

Die Xerox Development Corporation (XDC) wollte in Apple investieren. Das Startup war damals noch nicht an der Börse und er zeichnete sich ab, dass es nicht mehr viele Gelegenheiten geben sollte, vor dem Apple-Börsengang Anteile zu erwerben.

Ein Interesse zur Zusammenarbeit bestand auch bei Apple, allerdings (zunächst) nicht bei Steve Jobs. Apple-Ingenieur Jef Raskin, der bereits 1979 mit dem Macintosh-Projekt beauftragt war, stand in regelmäßigen Kontakt mit den PARC-Forschern und sah die interessanten Entwicklungen dort. Er versuchte, das Apple-Management davon zu überzeugen, dass für die Entwicklung des Apple Lisa eine grafische Benutzeroberfläche wie beim Alto eingesetzt werden sollte.

Raskin sagt, er habe Jobs in das PARC führen wollen, doch wegen der persönlichen Abneigung gegen Raskin habe Jobs einfach nicht auf die Offerte eingehen wollen. Außerdem bezweifelte er, dass aus einer größeren Organisation wie Xerox überhaupt etwas Interessantes entstehen könne. Raskin hatte bereit 1976 Xerox PARC drei Mal besucht. Erst mit der Hilfe von Bill Atkinson konnte Raskin Jobs davon überzeugen, sich im Dezember 1979 auf den Weg ins PARC zu machen.

Die Eintrittskarte zum Xerox PARC

Doch umsonst wollte sich Xerox nicht in die Karten schauen lassen. Die XDC und Jobs einigten sich darauf, dass Apple 100.000 (noch nicht öffentlich gehandelte) Aktien zum Stückpreis von 10,50 US-Dollar an Xerox verkaufen würde. Hätte die Xerox die Aktien bis heute (März 2019) gehalten, wären aus den 100.000 Anteilen von damals nach vier Aktien-Splits in den Jahren 1987, 2000, 2005 und 2014 genau 5,6 Millionen Apple-Aktien geworden, die nun knapp 10 Milliarden Dollar wert sind. Vermutlich hat Xerox nicht einen so langen Atem gehabt, sondern sich früher von den Anteilen getrennt. Man kann aber nicht sagen, dass Steve Jobs und seine Leute ohne Ticket das Xerox PARC besucht haben.

Mit der Eintrittskarte des umfassenden Business-Agreements in der Hand rückten Steve Jobs, Apple-President Mike Scott, Bill Atkinson und etliche Mitglieder der Entwickler-Teams an. Wer genau an den beiden Treffen teilgenommen hat, lässt sich im Nachhinein nicht mehr rekonstruieren, weil es widersprüchliche Aussagen dazu gibt. „Was wir in diesen anderthalb Stunden bekommen haben, war Inspiration“, sagte später Atkinson. „Außerdem unterstützte uns die Demo in unserer Überzeugung, dass der grafikorientierte Ansatz bei der Bewältigung von Computer-Aufgaben dazu beitragen würde, diese Geschäftscomputer zugänglicher zu machen.“

Der so mühsam zustande gekommene Besuch bedeutete jedenfalls im Leben des Steve Jobs ein Wendepunkt: Die drei Technologien, die der 24jährige dort sah, waren jede für sich revolutionär: die erste grafische Benutzeroberfläche für Computer, vernetzte Alto-Rechner, die E-Mails austauschen können und Objektorientiertes Programmieren.

Noch 17 Jahre nach diesem Besuch konnte sich Jobs genau erinnern: „Ich war total geblendet von dem ersten Ding, das sie mir zeigten: Die grafische Benutzeroberfläche. Ich dachte, das ist das beste Ding, was ich je in meinem Leben gesehen habe. Es hatte noch viele Schwächen. Was wir sahen war unvollständig. Sie hatten eine ganze Reihe Sachen falsch gemacht. Aber zu der Zeit wussten wir das nicht. Aber dennoch: Sie hatten den Keim der Idee geschaffen, und sie hatten es sehr gut gemacht. Und innerhalb von zehn Minuten war mir klar, dass eines Tages alle Computer so arbeiten würden.“

Adele Goldberg
Xerox Alto (1973 Prototyp Workstation)

Jobs entschloss sich, die Strategie von Apple neu auszurichten und voll auf das im Xerox PARC gesehene „Graphical User Interface“ (GUI), die grafische Bedienungsoberfläche, zu setzen. Adele Goldberg, damals Forscherin im PARC, ahnte schon, dass der Besuch von Jobs weit reichende Folgen haben wird: „Er kam zurück und (…) verlangte, dass sein ganzes Programmierteam eine Demo vom Smalltalk System bekommt. Und der Leiter des Forschungszentrums bat mich, die Demo zu geben, weil Steve extra darum gebeten hatte. Aber ich sagte ‚Nein‘. Ich hatte einen großen Streit mit diesen Xerox Managern, denen ich erzählte, dass sie gerade ihr Tafelsilber weggäben. Ich sagte, ich würde es nur tun, wenn sie es anordnen würden. Denn dann würden sie selbst verantwortlich sein. Und genau das taten sie dann auch.“

Larry Tesler, der damals als PARC-Angestellter an der Demo teilnahm, war von den Besuchern fasziniert: „Nach einer Stunde verstanden sie die Technologie unserer Demos und was sie bedeuteten besser als jeder Xerox-Manager nach all den Jahren, in denen wir sie ihnen gezeigt hatten.“

„Xerox könnte heute die gesamte Computerindustrie besitzen“, sagte Steve Jobs 1996. „Sie könnten heute ein zehnmal so großes Unternehmen sein. Sie könnten IBM sein- sie hätten das IBM der 90er Jahre sein können. Sie hätten das Microsoft der 90er sein können.“

Nach dem Tod von Steve Jobs im Herbst 2011 erinnerte sich Tesler in einer Gesprächsrunde im Tech Museum in San Jose an den legendären Besuch des Apple-Mitbegründers im PARC:

Larry Tessler erinnert sich an den Besuch von Steve Jobs

Teslers Kollegin Adele Goldberg sagte später dem Buchautor Michael Hiltzik, sie habe vor dem Besuch des Apple-Truppe nichts von der geschäftlichen Vereinbarung zwischen Apple und Xerox gewusst und sich deshalb so vehement gegen eine umfassende Demo der PARC-Projekte gewehrt.

Das Macintosh-Team nahm zwar die Ideen aus dem PARC auf, kopierte das System aber nich 1:1. So veränderten die Apple-Programmierer viele Funktionsweisen und fügten etliche neue Features hinzu. So kannte der Xerox Alto beispielsweise keine Menüs, die vom oberen Bildschirmrand herunter klappen, sondern arbeitete mit einer Art Pop-up-Fenster. Außerdem öffnete sich bei einem Doppelklick auf ein Dokument nicht das Fenster automatisch, sondern es musste von Hand aufgezogen werden. Bill Atkinson schrieb in monatelanger Kleinarbeit für den Lisa und Macintosh die QuickDraw-Routine, mit der erstmals überlappende Fenster auf dem Computer-Bildschirm gezeichnet werden konnten.

Screen des Xerox Star
Screen des Xerox Star

Im Gegensatz zum ersten Mac verfügte der Alto auch nicht über eine vollständige Schreibtisch-Metapher und geniale Desktop-Symbole wie den Mülleimer, der nicht nur Computer-Novizen das Löschen von Dateien sehr erleichterte. Zu den historischen Errungenschaften des Mac-Teams gehört auch der Macintosh Human Interface Guide, der beispielsweise festlegte, dass in einer Macintosh-Applikation ein Dokument immer mit dem Befehl Apfel-S gespeichert wird.

GUI des Xerox Star (1981)
GUI des Xerox Star (1981)
Die GUI des erste Apple Macintosh (1984)
Die GUI des erste Apple Macintosh (1984)

Auch die Entwicklung der notwendigen Hardware zeigt, dass Apple nicht einfach von Xerox PARC „geklaut“ hat. Die Maus wurde ohnehin nicht im PARC erfunden, sondern im benachbarten Stanford Research Institute von Dough Engelbart. Zur Geschichte der Computermaus gibt es hier auf der Site einen eigenen Artikel. Legt man die Holz-Maus von Engelbart, die Maus des Alto aus dem Xerox PARC (mit drei Knöpfen) und die Maus des ersten Apple Macintosh nebeneinander, kann man sehen, dass es sich um eine markante Weiterentwicklung und nicht um eine schlichte Kopie handelt:

Die Entwicklung der Computer-Maus: SRI (1963), Xerox Alto (1981), Apple Macintosh (1984)
Die Entwicklung der Computer-Maus: SRI (1963), Xerox Alto (1981), Apple Macintosh (1984)

Was die Massentauglichkeit der Maus anging, hatte Xerox wenig seit der Erfindung des Konzepts durch Engelbart unternommen. Steve Jobs beauftragte die Industrie-Design-Firma von Dean Hovey, um aus der Xeros-Maus, „die 300 Dollar kostet und innerhalb von zwei Wochen kaputt geht“, eine Maus zu machen, „die weniger als 15 Dollar kostet. Sie darf mehrere Jahre lang nicht versagen.“ Jobs verlangte, dass die Maus sowohl auf einer Formica-Platikoberfläche läuft als auch auf seiner Jeans, berichtete Malcolm Gladwell im Mai 2011 in der Zeitschrift The New Yorker.

Es ist daher nicht fair zu sagen, dass Steve Jobs und Apple die grafische Bedienoberfläche bei Xerox „geklaut“ haben. Zum einen gab es eine geschäftliche Vereinbarung zwischen Apple und Xerox über den Know-how-Transfer. Außerdem hat Apple die GUI des Xerox-Systems und die dafür notwendige Hardware nicht 1:1 kopiert, sondern in wesentlichen Aspekten weiterentwickelt.

Für Xerox blieb der bittere Nachgeschmack, eine historische Chance verpasst zu haben, zumal parallel zu den Apple-Entwicklern auch Bill Gates und seine Microsoft-Truppe im PARC ein- und ausgegangen waren (übrigens ohne ein vergleichbares Eintrittsticket, wie Jobs es sich mit dem Aktiendeal verschafft hatte).

Im Dezember 1989 verklagte Xerox Apple Computer und verlangte 150 Millionen Dollar, weil Apple bei Xerox die Technologie gestohlen habe, die die Macintosh-Computer so erfolgreich machte. Steve Jobs verwies darauf, dass Apple die Arbeit von Xerox so verfeinert habe, dass daraus eine eigene Schöpfung entstanden sei. Die Klage von Xerox wurde abgewiesen, weil der Vorsitzende Richter entschied, „dass die Beschwerden von Xerox aus mehreren rechtlichen Gründen ungeeignet gewesen seien.“ Unter anderem hatte Xerox wohl einfach zu lange gewartet, um erst fünf Jahre nach dem Marktstart des Apple Macintosh die Klage zu erheben, da die Verjährungsfrist inzwischen abgelaufen war.

Microsoft hat Anfang der neunziger Jahre im Streit mit Apple um die Plagiatvorwürfe rund um die ersten Windows-Versionen darauf verwiesen, dass Apple und Microsoft sich beide großzügig bei Xerox bedient hätten.

Apple und Xerox PARC › Mac History

Im Film “Pirates of Silicon Valley” wird das Thema “Apple und Xerox ironisch und überzeichnet abgehandelt

Das Forschungszentrum Xerox PARC wurde im Jahr 2002 als unabhängige, aber hundertprozentige Tochtergesellschaft von Xerox ausgegründet. Der Name Xerox erscheint im Firmennamen und Logo nur noch in der Unterzeile (A Xerox Company“). PARC arbeitet jetzt mit anderen kommerziellen (Großkonzernen, Unternehmen, Lizenznehmern) und staatlichen Partnern.

Quellen:

Michael Hiltzik: Dealers of lightning: Xerox PARC and the dawn of the computer age. HarperCollins Publishers, 1999.

TV-Dokumentation: PBS television special „Triumph of the Nerds: The Rise of Accidental Empires.“, Transkript Teil 3

Walter Isaacson: Steve Jobs, Simon & Schuster, 2011.

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