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Die Retter des verlorenen Schatzes – Das Video von der Aktionärsversammlung von Apple Computer am 24. Januar 1984

Steve Jobs präsentiert den ersten Apple Macintosh

Die Aktionärsversammlung von Apple Computer am 24. Januar 1984 hatte wenig mit den üblichen Jahrestreffen von Investoren gemein. Die Stimmung im vollen Flint Center unweit des Apple Campus im kalifornischen Cupertino glich eher der eines Rockkonzerts. Die Zuschauer waren sich darüber im Klaren, dass sie Zeugen eines einmaligen Gigs sein würden. 2500 Leute erlebten damals, wie Apple-Mitbegründer Steve Jobs den ersten Macintosh und damit einen Meilenstein der Computergeschichte vorstellte.

Manfred „Majo“ Heinze, Mitbegründer der Presse- und Medienproduktionsfirma TextLab und einer der Köpfe hinter dem populären Weblog „Industrial Technology & Witchcraft“, hatte sich bereits zum 20. Geburtstag des Apple Macintosh im Januar 2004 gefragt, warum von diesem historischen Ereignis keine Videoaufzeichnung existiert. „Immerhin war damals schon vorher bekannt, dass Apple auf der Aktionärsversammlung im Januar 1984 den Mac zum ersten Mal öffentlich zeigen würde. Eigentlich war es also schon seltsam, dass von der Veranstaltung zwar Tonund Bilddokumente existierten, aber kein Video.“

Monate nach dem Geburtstag fand Majo in dem Buch des Macintosh-Entwicklers Andy Hertzfeld „Revolution in the Valley“ einen winzigen Hinweis auf eine Fernsehübertragung: Die Aktionärsversammlung war völlig überfüllt, etliche Aktionärsvertreter kamen nicht hinein. Apple hatte deshalb wohl aktienrechtliche Bedenken und ließ die ganze Veranstaltung von einem regionalen TV-Sender mitschneiden und ein paar Tage später senden.

DAS VERLORENE TAPE Nach einigen Recherchen spürte Majo dann auch jemanden auf, der diese Sendung aufgezeichnet hatte: Scott Knaster aus Cupertino, der damals Mitarbeiter bei Apple war. „Ich habe ihn mit der Idee einer Veröffentlichung zum 21. Geburtstag des Macs angeschrieben, und er war sofort Feuer und Flamme. Sein Band scheint wirklich die einzige erhaltene Kopie zu sein – Scott hebt gottlob wirklich alles auf“, erinnert sich Majo.

Scott Knaster hatte das Tape zuvor Andy Hertzfeld für die Recherchen zu seinem Buch und sein Online-Projekt folklore.org zur Verfügung gestellt. In den Diskussionsforen bei folklore.org wurde bald die Frage nach einer digitalen Kopie des Mitschnitts laut. „Ich kenne niemanden, der eine hat“, antwortete Scott. „Ich bin aber gerne bereit, mein Tape jemandem auszuleihen, der es digitalisieren kann.“ Daraufhin meldeten sich bei ihm etliche Interessierte, doch fast alle schreckten dann doch vor der Aufgabe zurück, ein 20 Jahre altes Betamax-Tape zu restaurieren. „Dann hörte ich von Majo, der unerschrocken an die Sache ranging.“

MINIMALE QUALITÄT Als Majo das Band von einem Kurier erhielt, wurde auch ihm langsam klar, worauf er sich eingelassen hatte: „Das Betamax-Tape war nicht nur 20 Jahre alt, sondern auch noch im Longplay-Mode aufgenommen worden, also mit minimaler Qualität. Zudem hatte Apple bei der Aufnahme offenbar an der Beleuchtung gespart – stellenweise ist das Bild beinahe schwarz.“

Erschwerend kam hinzu, dass Betamax als Videostandard seit Jahrzehnten tot ist. „Viel schlimmer war aber“, so Majo, „dass Scott Knaster das Band im Laufe der Jahre nur ein paar Mal abgespielt hatte, die Magnetschicht zusammenklebte und das Bandmaterial zerknittert war. Zudem war das Ganze natürlich in der US-Fernsehnorm NTSC aufgenommen worden – alles in allem also wirklich ein ziemlich unzugängliches Stück Mediengeschichte.“

SCHATZKAMMER MIT MAGIER Auf der Suche nach geeigneten technischen Equipment fiel dem Medienproducer dann ein Fernsehstudio in Bonn ein, das seit über 40 Jahren in Betrieb ist und praktisch sämtliche Aufnahme- und Schnittgeräte über die Jahre hinweg in funktionsfähigem Zustand erhalten hat. „Das ist eine echte Schatzkammer mit einem wahren Technikmagier. Da haben wir dann einen ganzen Tag herumgehext – zuerst mal das Tape mit der Hand ganz vorsichtig abgewickelt und neu aufgerollt, dann mit der Maschine sehr langsam ein paar Mal auf- und abgespult. Dann wurden über einen NTSC/PAL-Normwandler und mit allen möglichen Filtern, Signalgeneratoren und Timeframe-Shiftern die Bildsprünge und Störstreifen so gut wie möglich beseitigt und der Ton gesäubert. Und schließlich haben wir das Ding auf Betacam kopiert und ich konnte es mir zum ersten Mal komplett ansehen – das war schon ziemlich aufregend.“

Im TextLab-Studio wurde das Betacam-Tape dann erst mal komplett in bestmöglicher Qualität digitalisiert. Als Videomaschine verwendete das Team einen Power Mac G4 1,25 GHz Dual mit einem Media-100-Board und der entsprechenden Schnitt- und Bearbeitungs- Software wie Media 100, After Effects und Boris Effects.

„Einige verrutschte Bildstände, die bei der analogen Bearbeitung nicht verschwunden waren, haben wir dann digital korrigiert: Im ersten Clip (1- 1984_launch.mov) zum Beispiel war das gesamte Bild über eine Minute lang verschoben, sodass Steve Jobs’ Kopf oben angeschnitten war und unten ein breiter schwarzer Balken stand. Das haben wir dann so versetzt, dass es zumindest weniger auffällt. Ansonsten haben wir digital nur ganz leicht geschärft und so wenig wie möglich korrigiert, weil das Material – vor allem auch durch die schlechte Beleuchtung bei der Aufnahme – zum Teil wirklich grenzwertig war und durch weitere digitale Bearbeitung noch schlechter geworden wäre“, beschreibt Majo die Tücken der Digitalisierung.

DIE SPANNUNG STEIGT Die Restaurierung nahm dann einige Tage in Anspruch. Majo nutzte diese Zeit, um die Spannung unter den Apple-Fans zu schüren. In dem Weblog IT&W lancierte er ständig mysteriöse Ankündigungen, die sich wellenartig im Netz verbreiteten. „Ich hatte eigentlich erwartet, dass das Thema Mac- Geburtstag nach den vielen Storys, die 2004 dazu gemacht worden waren, nicht mehr so interessant sein würde. Andererseits war das natürlich vor allem für die Mac-Fans eine echte Sensation. Wir wussten also im Grunde überhaupt nicht, was da auf uns zukommen würde.“

Am 24. Januar 2005 war es dann so weit. Das IT&W-Team stellte den Clip einfach auf den Server und wartete, was passieren würde. „Ich wollte unbedingt, dass die Leute beim ersten ‚Lost- 1984-Video’-Clip den Film sofort sehen können – deshalb haben wir ihn als ungepackte QuickTime-Datei mit 20 MByte verteilt.“ Welche Auswirkungen das haben sollte, erlebte Majo sehr schnell.

DER ANSTURM IT&W hatte den üblichen Mac- und IT-News-Diensten eine kleine Meldung zukommen lassen, und sämtliche deutschen Mac- Sites sowie etliche Online-Nachrichten-Sites brachten sie am selben Vormittag. „Es dauerte eine Stunde, dann brach unser Serverchen zum ersten Mal zusammen, und so ging das dann weiter“, erinnert sich Majo, „nachmittags kamen die US-Sites ins Spiel, und dann berichteten gleichzeitig c|net, Yahoo, Slashdot, metafilter, Megablogger Kottke sowie buchstäblich jede einzelne Mac-Seite rund um den Globus darüber. Die absolute Krönung war dann noch eine Meldung bei Steve Wozniak. Es war ziemlich irre.“

Das Weblog IT&W hatte nach der Veröffentlichung des ersten „1984“- Videos sofort gut zehnmal so viel Traffic wie sonst; über den Server rauschten in zwei Tagen 60 GByte. Als sich in der Szene herumsprach, wie sehr IT&W unter der Last des Ansturms zu leiden hatte, boten etliche Netzbewohner ihre Hilfe an: „Das Tollste war die blitzschnelle Unterstützung aus der Community: Vom privaten Weblogger bis zum fetten Uni-Mirror mit mehreren Servern meldeten sich den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch Hunderte von Leuten, die mithelfen wollten. Insgesamt waren 50 zum Teil richtig dicke Server tagelang im Einsatz“, freut sich Majo noch heute.

Die erste Nacht verbrachten die Blogger von IT&W damit, per Hand die Last des Ansturms zu verteilen – eine Art manuelles Load Balancing. Majo erinnert sich: „Die Leute meldeten neue Server an eine E-Mail-Adresse; wir haben sie auf die Hauptseite gesetzt oder wieder entfernt, wenn ihre Kapazitäten erschöpft waren, und so versucht, den Ansturm zu verteilen. Es war wirklich ein Ritt auf einem Tiger, an reguläres Arbeiten war tagelang nicht zu denken. Aber – es hat geklappt.“ (Update: Heute stehen die Lost Videos auf Mac Essentials und sind auch über iTunes abrufbar.)

Im „Senfkeller“, dem Diskussionsforum von IT&W, tauchte in dieser heißen Phase der Begriff BitTorrent auf. Leser fragten, ob die weiteren Teile des „1984“-Videos nicht besser mit diesem Filesharing-Programm im Netz verteilt werden sollten, das sich besonders für große Dateien eignet. „Hinterher ist man immer klüger. Außerdem sollte man den Clip auch sofort beim Download sehen können. Aber beim nächsten Mal“, antwortete Majo.

BITTORRENT Der Vorschlag aus dem „Senfkeller“ wurde von Majo und seinen Kollegen schnell umgesetzt: „Beim zweiten Seed drei Wochen später haben wir die Konsequenz aus der ersten Erfahrung gezogen und sind komplett auf BitTorrent umgestiegen.“ Zwar wurde der IT&W-Server beim zweiten Video in den ersten Stunden auch erheblich belastet, aber danach wurde es immer ruhiger. „Das Tolle an BitTorrent ist ja, dass die Last auf den einzelnen Server umso geringer wird, je öfter die Dateien heruntergeladen werden – genau das Gegenteil vom ersten Seed“, erläutert Majo. „Die zweite Verteilaktion mit vier Videos hatte einen noch größeren Ansturm zur Folge als die erste, aber so gut wie keine ‚Kollateralschäden’ auf unserer Seite.“

Christoph Dernbach (März 2005)

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